Radikale nutzen soziale Spannungen

Der Grünen-EU-Abgeordnete Sven Giegold über Wege aus der Eurokrise / Interview

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 16.01.12) Hildesheim. Eurokrise, Rettungspakete ohne Ende – der Grünen-EU-Abgeordnete Sven Giegold über Lösungswege und Risiken für die europäische Gemeinschaft.

Norbert Mierzowsky: Herr Giegold, wie beurteilen Sie das derzeitige Eurokrisenmanagement?

Giegold:
Politisch wird in den EU-Staaten immer noch nur bis an den nationalen Tellerrand gedacht. Vor allem die südlichen Länder leben über ihre Verhältnisse, Regierung und Bürger müssen dort sparen; Deutschland lebt aber umgekehrt unter seinen Verhältnissen, ohne deutliches Lohnwachstum und Abbau des Niedriglohnsektors machen wir den anderen Staaten das Leben schwerer.

Wie sehen die grünen Lösungsstrategien aus?


Wir brauchen einen gemeinsamen Rahmen für eine europäische Sozialpolitik, im Renten- und Gesundheitssystem, aber auch einen finanzpolitischen Zugriff beispielsweise auf Steueroasen. Die Kanzlerin drängt aufs Sparen, das ist richtig, aber es müssen gleichzeitig neue Einnahmequellen geschaffen werden, das hilft allen Staaten, ihre Defizite auch zu überwinden.

Sie sind Mitglied des evangelischen Kirchentages, beim Bistumsempfang wurde am Wochenende harte Kapitalismuskritik geübt: Wie schätzen sie die Rolle der Kirchen zur Eurokrise ein?


Christen haben Europa auf den Weg gebracht, man muss nur an den Katholiken Adenauer und Schuman denken. Heute drohen neue Spaltungen. Fast 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit zum Beispiel in Spanien, in Frankreich sieht man, wie Rechtsradikale soziale Spannungen nutzen, Marine Le Pen punktet mit Anti-Europaparolen. Das kann überall drohen. Die Kirchen sollten eine wichtige Rolle spielen, das europäische Friedenswerk zu sichern und einen Rückfall in nationale Spaltungen zu überwinden.

Und der Staat?


Die Regierungen müssen ebenfalls stabilisieren. Genau das tut aber die Bundesregierung derzeit nicht. Die Lastenverteilung bei der Krisenbewältigung ist zutiefst ungerecht, große Vermögen werden geschont. Das geht auf Dauer nicht gut in Demokratien.

Sie sind Attac-Mitgründer, wie sehen Sie das Verhältnis zur Occupy-Bewegung?


Viele Forderungen von Attac sind längst mehrheitsfähig geworden, daher ist es sinnvoll, den richtigen Ton zu finden. Radikales Geschwätz sollte man vermeiden, dafür aber mit klugen Argumenten die Bundesregierung vor sich her treiben. Die neue Dynamik durch Occupy konnte man in Brüssel direkt spüren. Was ich aber nicht teile, ist die zum Teil antiparlamentarische Haltung. Das hat Attac nie geteilt, die Bewegung ist auch von Politikern mitgegründet worden.

Und die Piraten?


Ich wünsche denen alles Gute. Sie helfen, Wähler wieder in das demokratische System zu integrieren. Allerdings haben sie immer noch ein Legitimationsproblem, so lange sie keine Programmatik entwickelt haben.

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Europa / EU | Wirtschaft und Verkehr

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