Dioxin-Skandal macht Bio-Produkte schick

Der Skandal um dioxinverseuchtes Futtermittel beschert der Bio-Lebensmittel-Branche zuhauf neue Kunden. In der "Knolle" gingen in der vergangenen Woche 60 Prozent mehr Eier über den Tresen als gewöhnlich, am Sonnabend saß Laden-Chef Thomas Räbiger komplett ohne da – bereits am Freitagabend hatte er das letzte Ei verkauft.

10.01.11 –

Ansturm auf Läden mit Öko-Waren führt zu Engpass bei Eiern und Fleisch / Verbraucher denken wieder mehr über Lebensmittel nach

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 10.01.11) Hildesheim. Der Skandal um dioxinverseuchtes Futtermittel beschert der Bio-Lebensmittel-Branche zuhauf neue Kunden. In der "Knolle" gingen in der vergangenen Woche 60 Prozent mehr Eier über den Tresen als gewöhnlich, am Sonnabend saß Laden-Chef Thomas Räbiger komplett ohne da – bereits am Freitagabend hatte er das letzte Ei verkauft.

In der benachbarten Bio-Fleischerei "Fein und Köstlich" standen Kunden am Sonnabendmittag ebenfalls vor einer fast leeren Auslage. "Das hab’ ich noch nicht erlebt", wunderte sich Verkäuferin Jutta Szczyrba. Auch Stammkunde Helmut Kisse staunte, er musste statt mit dem erhofften Schweineschnitzel mit Bratwürsten aus der Goschenstraße abziehen. "Sonst kriege ich um diese Zeit noch alles." Dabei hatte sich Verkäuferin Szczyrba mengenmäßig gut gerüstet gefühlt. Doch sowohl Nackenbraten als auch Schweinerücken, die wie die anderen Waren aus einem Bio-Schlachthof in Dinklar kommen, waren äußerst gefragt. "Das ging ratzfatz weg."

Wie die Eier in der "Knolle". Sie verkauft in normalen Wochen etwa 600 Exemplare. Doch dass die vergangene Woche keine normale werden würde, hatte Thomas Räbiger bereits am vorherigen Wochenende geahnt: Er orderte bei seinen Lieferanten 200 Stück mehr als sonst, am Donnerstag bekam er noch einmal die gleiche Menge. Macht 1000 statt 600 Eier. Dennoch war das Kühlfach schon Freitag wieder leer. "Wir hätten am Sonnabend bestimmt noch 300 verkaufen können", schätzt Räbiger. Für die kommende Woche hat er gleich 1000 Eier bestellt.

Der "Knollen"-Chef kennt diesen Reflex von früheren Lebensmittel-Skandalen: Um auf Nummer sicher zu gehen, steuern plötzlich auch Menschen Bio-Läden an, die sonst nicht unbedingt zu deren Kunden zählen. Dass seine Ware sauber ist, hat Räbiger schwarz auf weiß, er bezieht die Eier vor allem von einem Bioland- Betrieb im Landkreis Celle. Der hat den Abnehmern schriftlich versichert, seinen Hühnern kein belastetes Futter verabreicht zu haben: Man mische die Tiernahrung nicht nur eigenhändig, sondern baue sie zum großen Teil auch an.

Zusätzliche Eißweißergänzer stammen von einem Betrieb, der ebenfalls der Erzeugerkette Bioland angehört, die sich der ökologischen Landwirtschaft verschrieben hat. "Unser Lieferant hat überhaupt keine Geschäftsbeziehungen zu den Futtermittelhändlern, die von dem Skandal betroffen sind", betont Räbiger.

Die Schlagzeilen dürften bei ihm und seinen Bio-Kollegen noch weitere drei Monate die Kassen klingeln lassen. Danach lasse die Leidenschaft für ökologische Produkt-Alternativen in der Regel wieder nach, hat der Ladenbetreiber bei früheren Fällen beobachtet. Besonders der BSE-Skandal wirkte sich nachhaltig aufs Geschäfts aus: "Wir haben in dem Jahr 25 Prozent mehr Umsatz gemacht."

Der Zuwachs durch den Eier-Boom dürfte sich dagegen in Grenzen halten. Ein Exemplar kostet 35 Cent, davon bleiben acht Cent im Geschäft. Doch das profitiert auf andere Weise, berichtet Räbiger: "Die Leute setzen sich wieder mehr mit dem Thema Lebensmittel auseinander." Und einige jener Kunden, die das Dioxin in den Laden spült, nehmen neben den Eiern auch andere Waren mit.

Die Landwirte, die unter dem Skandal leiden, tun dem Mann aus der "Knolle" leid. Sie könnten nichts für die Probleme. Bei den Verursachern dagegen vermutet Räbiger "kriminelle Energie". Allerdings sieht der Ladenbetreiber auch Fehler im System. So lieferten sich Discounter eine Preisschlacht nach der nächsten, Verbraucher verlangten billige Waren und Qualität zugleich. "Doch das geht nicht." Dieser Widerspruch könne offenbar zu der Versuchung führen, eigene Kosten zu drücken und zu betrügen. In der Bio- Branche laufe die Sache dagegen genau umgekehrt. "Dort setzt der Erzeuger den Preis fest – und den vertreten wir dann gegenüber den Kunden." Die können sich allerdings auch in Sachen Eier nicht einmal dann sicher wähnen, wenn sie auf Bio setzen. Denn eine große Stückzahl konventionell erzeugter Eier gelange gar nicht in den Handel, sondern gehe in die Produktion – und lande zum Beispiel in Gebäck wie Kuchen. "Davor kann man sich gar nicht schützen."

Kategorie

Landwirtschaft, Ernährung, Verbraucherschutz

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