"Stromleitungen müssen in Wohngebieten unter die Erde"

Endlich Wochenende? Für Spitzenpolitiker wie Jürgen Trittin ist das einen Monat vor der Kommunalwahl illusorisch: Auf dem Weg von Berlin ("Heute lebe ich da, wo uns die Lehrer früher hingewünscht haben, in Pankow") nach Göttingen (hier hat er seinen Wahlkreis) springt der Fraktionschef der Grünen mal eben in Hildesheim aus dem Zug, um seine Partei im Straßenwahlkampf zu unterstützen.

15.08.11 –

Im Straßenwahlkampf der Grünen erntet Fraktionschef Jürgen Trittin immer wieder Applaus / Kritik an immer mehr Mastställen

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 19.08.11) Hildesheim. Endlich Wochenende? Für Spitzenpolitiker wie Jürgen Trittin ist das einen Monat vor der Kommunalwahl illusorisch: Auf dem Weg von Berlin ("Heute lebe ich da, wo uns die Lehrer früher hingewünscht haben, in Pankow") nach Göttingen (hier hat er seinen Wahlkreis, hier begann seine politische Karriere) springt der Fraktionschef der Grünen mal eben aus dem Zug, um seine Partei im Straßenwahlkampf zu unterstützen. Sein Weg führt vorbei an Ständen der anderen Parteien. Als er am Hohen Weg seine Parteifreunde erreicht hat, hält er einen Kaffeebecher vom Bündnis in der Hand und eine tiefrote Rose, die im Wassereimer bei den obligatorischen Sonnenblumen landet, der Symbolblume schon in den Kindertagen der Partei.

Der eigene Stand steht unter dem Motto fairer Handel. Ulrich Räbiger, auch er Fraktionsführer, wenn auch nur im Stadtrat, schenkt Kaffee aus, an dessen Erträgen die Bauern angemessen beteiligt werden. "Das Große hat oft mit Kleinem zu tun", sagt Trittin, der aus dem Stand eine halbstündige Rede hält; routiniert, geschliffen, manchmal sogar charismatisch. Die schnell wachsende Zuhörerschaft spendet immer wieder Applaus.

Früher seien Hähnchen- und Schweinemastställe ein, nun ja, Privileg des Nordwestens gewesen. Heute gebe es in Niedersachsen doppelt so viele Schweine wie Bürger, würden die Anlagen zum flächendeckenden Problem, das den Menschen die Lebensqualität nehme und ihre Häuser entwerte. Dabei müsse man doch hinterfragen, wie auf so kleinen Flächen Millionen von Tieren ernährt werden könnten. Die Antwort gibt Trittin gleich selbst: durch genverändertes Soja aus Argentinien und Brasilien, für dessen Produktion massiv Herbizide eingesetzt und Flächen, die einstmals Regenwald gewesen seien, vernichtet worden sind. "Diese Praxis ist verantwortungslos!"

Dem Wahlkampf-Dauerbrenner Steuersenkung erteilt Trittin eine klare Absage. "Dafür gibt es keinen Raum!" Schon heute seien die Kommunen mit zwölf Milliarden Euro über Kassenkredite illegal verschuldet, denn diese Kredite sind rechtlich nur für Investitionen zulässig.

Gut angelegtes Geld seien hingegen Ausgaben für Bildung, denn bislang erwerbe nur jeder vierte Schüler einen Hochschulabschluss, in anderen Staaten seien es 50 oder sogar 70 Prozent. Der studierte Sozialwissenschaftler Trittin fordert mehr Kitas, mehr Ganztagsschulen mit "vernünftigem" Mittagessen. "Denn wir brauchen Betreuung von Anfang an."

Dass er seit Langem Befürworter eines schnellen Ausbaus von Stromtrassen sei, habe er nie verschwiegen. Man könne den Bürgern aber nicht einfach eine Starkstromleitung über das Haus ziehen. "Wo sie durch bewohntes Gebiet gehen, müssen sie unter die Erde." Für Energiespitzen will Trittin nach der Atomwende Gaskraftwerke einsetzen. Damit die CO²- Bilanz deshalb nicht steigt, müssten Gebäude besser gedämmt werden. Doch aktuell liege die Sanierungsrate bei nur einem Prozent, stänkert er mit einem Seitenhieb auf die Bundesregierung. Gehe das Tempo so weiter, sei erst in 100 Jahren das letzte Haus energetisch saniert.

Die Stromriesen Eon und RWE haben nach Einschätzung der Grünen die Energiewende, die 370 000 neue Arbeitsplätze geschaffen habe, verschlafen, jetzt müssten die Beschäftigten die Zeche zahlen.

Im Small-Talk mit den Zuhörern bezieht Trittin Stellung zur Pestizid-Produktionen deutscher Firmen in Brasilien, zu W-LAN in Schulen, Laubsaugern in Grünanlagen. Dann drängt die Zeit zum Aufbruch: Trittin besucht in Nordstemmen die Zentrale von El Puente, wo inzwischen 40 Menschen Arbeit gefunden haben. Schnell noch ein Abstecher zum Jugendgemeinschaftsdienst in der Katharinenstraße, der für junge Leute Workcamps und Freiwilligendienste im In- und Ausland organisiert. Wieder muss Trittin die Uhr im Auge behalten, nicht nur, weil er überzeugter Bahnfahrer ist. Noch 29 Tage bis zur Wahl.

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