Ahmed Siala: "Ich lebe hier einfach zu lange, das ist meine <br /><img src="http://gruenes-cms.de/httpdocs/userspace/NS/kv_hildesheim/Bilder/whitegif_190_10.GIF" width="62" align="top" />Heimat"

Vor mehr als einem Jahr, am 2. Oktober 2007, hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg im Sinne des Landkreises entschieden. Die Leipziger Richter haben das Urteil nun aufgehoben und zurück an das OVG verwiesen.

Revision über Ahmed Sialas Bleiberecht: Bundesverwaltungsgericht hebt OVG-Urteil auf

(Quelle: Kehrwieder am Sonntag, 01.02.09, Lothar Veit) Leipzig/Landkreis Hildesheim. Der Nervenkrieg im Fall Ahmed Siala geht weiter. Am Dienstag hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über Sialas Bleiberecht zu entscheiden – oder vielmehr darüber, ob der Landkreis Hildesheim es ihm zu Recht verweigert. Vor mehr als einem Jahr, am 2. Oktober 2007, hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg im Sinne des Landkreises entschieden. Die Leipziger Richter haben das Urteil nun aufgehoben und zurück an das OVG verwiesen.

Ahmed Siala wertet diese Entscheidung als Erfolg, er ist erleichtert. Der Landkreis und das Innenministerium fühlen sich dagegen im Wesentlichen in ihrer Auffassung bestätigt. Wie ist das möglich? Es ist möglich, weil in dem nunmehr acht Jahre dauernden Rechtsstreit die Auslegung von Paragrafen im Vordergrund steht – und das Einzelschicksal einer auseinandergerissenen Familie mit vier Kindern im Hintergrund. Am 10. Februar 2005 wurde Sialas Frau Gazale Salame, im dritten Monat schwanger, zusammen mit der damals eineinhalbjährigen Tochter Schams in die Türkei abgeschoben, als ihr Mann die beiden älteren Töchter Amina und Nura gerade in die Schule brachte. Seinen im türkischen Izmir geborenen Sohn Ghazi kennt Ahmed Siala nur von Fotos. Ginge es nach dem Innenministerium, würde der 30-Jährige ebenfalls in die Türkei abgeschoben und könnte dort mit der vereinten Familie ein schönes Leben führen. Wäre da nicht ein kleiner Makel: Siala wohnt seit 24 Jahren in Deutschland, hat hier Arbeit und spricht kein Wort türkisch.

Siala war sechs, Gazale Salame sieben Jahre alt, als beide unabhängig voneinander mit ihren Eltern als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland flohen. Ihnen wird vorgeworfen, dass ihre Eltern bei der Einreise nicht gesagt hätten, dass ihre Vorfahren aus der Türkei stammen. Siala habe das Bleiberecht 1990 daher zu Unrecht erhalten, weil er kein Kurde aus dem Libanon mit ungeklärter oder libanesischer Staatsangehörigkeit, sondern tatsächlich türkischer Staatsangehöriger sei.

Die damals minderjährigen Kinder sollen also für Verfehlungen ihrer Eltern zur Rechenschaft gezogen werden. Letztere wohnen übrigens nach wie vor in Deutschland und würden unabhängig vom Ausgang des Verfahrens hier bleiben, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Das zeigt, zu welcher Unlogik die Gesetzgebung führen kann.

Die Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts, Marion Eckertz-Höfer, hat den streitenden Parteien wegen der Komplexität des Falles eine außergerichtliche Lösung nahegelegt. Sie habe gesagt, der Fall schreie geradezu nach einer Lösung im Wege des Vergleichs, berichtet  Prozessbeobachter Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen. Erika Korn, Justiziarin des Landkreises, bestätigt dies. Für das Rechtsamt der Verwaltung war Holger Sinram nach Leipzig gefahren, der hinterher auch dem niedersächsischen Innenministerium vom Prozessverlauf berichtete.

Das höchste Verwaltungsgericht hat den Lüneburger Richtern insoweit zugestimmt, dass Ahmed Siala sich weder auf frühere landesrechtliche Bleiberechtserlasse noch auf eine so genannte Altfallregelung für lange in Deutschland lebende Ausländer berufen könne, da er 2004 wegen Schlachtens ohne Hinzuziehung eines Amtstierarztes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Die Bundesrichter bemängelten aber, dass das OVG nicht ausreichend geprüft habe, ob aufgrund der besonderen Umstände ein Härtefall vorliege, der ein Bleiberecht aus humanitären Gründen rechtfertige. Gerichts-Präsidentin Eckertz-Höfer nannte mehrere Paragrafen, die sich die Lüneburger Richter noch einmal genauer ansehen sollten: aus dem Aufenthalts- und dem Grundgesetz sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention. Darin geht es etwa um den besonderen Schutz von Ehe und Familie.

Wer seit 24 Jahren im Bundesgebiet lebe und sein Herkunftsland gar nicht kenne, habe ein nachvollziehbares Interesse, im Land zu bleiben, so die Präsidentin. Der Flüchtlingsrat geht zudem davon aus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Aufenthaltsbeendigung nach so langer Zeit nicht zulassen werde. Darauf setzt auch Siala seine Hoffnungen: "Der Innenminister kann doch die Empfehlung der Präsidentin nicht einfach ignorieren."

Der Landkreis und das Ministerium sind mit einer Bewertung noch zurückhaltend: Sie müssten erst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, teilen beide unisono mit. Klaus Engemann, Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums, sagte zum KEHRWIEDER, er sei gespannt, ob diese Empfehlung auch in der schriftlichen Begründung stehe. "Ein Vergleich ist eigentlich kein Bestandteil eines Verwaltungsgerichtsverfahrens."

Ansonsten sei Leipzig "in weiten Teilen" dem OVG gefolgt, "bis auf diesen einen Aspekt, der nochmal geprüft werden muss". Das Lüneburger Gericht sei aber völlig frei, neu zu entscheiden – "das Urteil kann auch genauso ausfallen wie vorher", so Engemann. Ahmed Siala will das nicht glauben: "Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision zugelassen und wollte die Meinung von oben hören. Jetzt haben sie sie gehört." Der 30-Jährige hofft  zudem immer noch auf die Einsicht des Innenministers – es müsse ja gar nicht zu einer neuen Verhandlung kommen, die dann vielleicht wieder den Gang nach Leipzig oder sogar zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg nach sich ziehen würde. Weitere Jahre würden dann ins Land ziehen, in denen die Familie keine Ruhe findet. Acht Jahre dauert der Prozess. Genau die Zeit, nach der Ausländer nach der "Altfallregelung" im Aufenthaltsgesetz normalerweise das Bleiberecht erhalten. Acht, nicht 24.

Vor diesem Hintergrund fordert auch die Kreistagsfraktion der Grünen Landrat Reiner Wegner und Innenminister Uwe Schünemann auf, "das Leiden der Familie Siala endlich zu beenden". Sie sollten dafür sorgen, dass Ahmed Siala einen gesicherten Aufenthaltsstatus erhält und Gazale Salame wieder einreisen kann, appelliert Fraktionschef Holger Schröter-Mallohn.

Mit seiner Frau hatte Siala vor dem Prozess mehrere Wochen nicht telefoniert. Er wollte ihr nicht allzu große Hoffnungen machen, weil die Enttäuschung bei einer Niederlage dann umso größer gewesen wäre. Das hat er von der Lüneburger Verhandlung noch gut in Erinnerung. Seit Dienstag telefonieren sie wieder regelmäßig. "Es geht ihr nicht gut, aber beim letzten Anruf war sie sehr glücklich", sagt er. Auch die Töchter seien erleichtert, "sie können wieder lachen".

Mit seiner Frau hat es wegen der langen Trennung schon öfter Streit gegeben. "Sie hat mehrfach gesagt, lass uns aufgeben." Für Ahmed Siala kommt das nicht in Frage: "Ich lebe hier einfach zu lange, das ist meine Heimat." So denken seine Mitbürger nicht unbedingt. Siala kennt die Vorwürfe, und sie tun weh. Warum beschäftigt der Mann so lange die Gerichte? Warum stellt er sein Leid so zur Schau? "Ich habe mir das nicht ausgesucht", sagt der 30-Jährige, der seit der Abschiebung von Gazale Salame mit seinen Eltern in Dingelbe wohnt. Er beziehe keine Sozialleistungen, liege niemandem auf der Tasche und kämpfe nur um seine Menschenwürde. "Im Grundgesetz steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht nur die Würde der Deutschen."

Der Umgang mit den Medien ist für ihn ein Mittel zum Zweck. Interesse gibt es zuhauf: Seit der Verhandlung in Leipzig haben Teams von Spiegel TV, Monitor, Panorama und anderen Fernsehmagazinen zu ihm Kontakt aufgenommen. Er habe jedesmal ein bisschen Sorge vor den Beiträgen, bittet immer wieder, nicht zu scharfe Formulierungen zu verwenden, "damit das Innenministerium nicht bockig wird".

Ahmed Siala kämpft weiterhin an mehreren Fronten. Auch in der Türkei hat er Anwälte beauftragt. Sie sollen dort die Frage der Staatsbürgerschaft klären. Wenn er beweisen könnte, was er immer beteuert hat, dass nämlich die Familie, die der Landkreis in einem türkischen Registerauszug entdeckt hat, gar nicht seine Vorfahren sind – es könnte die Rettung sein.

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Migration und Flüchtlinge

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