Ein Ventil für die Betroffenheit

Sie sammeln Unterschriften für die bevorstehende Landtagswahl: Mitglieder der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NDP). Seit Dienstag der vergangenen Woche sind sie mit einem Stand in der Sarstedter Innenstadt vertreten. Die Stadtverwaltung genehmigte das. Doch gerne sehen viele Sarstedter die Parteivertreter nicht in ihrer Stadt - das machen etwa 300 Menschen bei einer Kundgebung von DGB, Parteien, Kirchen und Vereinen am Sonnabend vor der Nikolai-Kirche deutlich.

300 Menschen nehmen an Kundgebung vor der Nikolai-Kirche gegen die Aktivitäten der NPD in Sarstedt teil

(Quelle: Hildesheimer Allg. Zeitung, 27.08.12)  Sarstedt. Sie sammeln Unterschriften für die bevorstehende Landtagswahl: Mitglieder der Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NDP). Seit Dienstag der vergangenen Woche sind sie mit einem Stand in der Sarstedter Innenstadt vertreten. Die Stadtverwaltung genehmigte das. Doch gerne sehen viele Sarstedter die Parteivertreter nicht in ihrer Stadt - das machen etwa 300 Menschen bei einer Kundgebung von DGB, Parteien, Kirchen und Vereinen am Sonnabend vor der Nikolai-Kirche deutlich. "Es braucht ein Ventil, um ein Zeichen der Betroffenheit zu setzen", erklärt Iris Frischling vom DGB-Ortsverband Sarstedt den Beweggrund für die Veranstaltung. Da die, wie andere Kundgebungen auch, 48 Stunden vor dem geplanten Termin bei der Stadt angemeldet werden muss, treffen sich die Teilnehmer erst am Sonnabend. Der Tenor: "Die NPD hat in Sarstedt nichts verloren."

Unter den Gästen sind viele Ältere, wie SPD-Urgestein Hermann Rappe und Sarstedts Ehrenbürgermeister Walter Gleitz. Viele junge Menschen, teils mit den Kindern an der Hand, steuern ebenfalls den Kirchplatz an. "Wir halten zusammen, deswegen hat die NPD in Sarstedt nichts zu suchen", ruft Pastor Hans- Peter Borcholt den Zuhörern zu. Der Geistliche warnt davor, die NPD zu verharmlosen. Schon einmal hätten die Deutschen die Gefährlichkeit eines Mannes, Adolf Hitler, unterschätzt. Ein Fehler, für den sich das Volk schämen müsse. "Ich hoffe, dass diese Partei bald verboten wird", sagt Borcholt. Er erinnert an den 20. Jahrestag des Progroms von Rostock- Lichtenhagen, das sich am Freitag jährte. "Das zeigt, dass rechtes Gedankengut verbreitet ist", so der Pastor. In Sarstedt wolle man jedoch keine Art der Menschenverachtung. So rät Borcholt den Zuhörern, am Stand vorbei zu gehen und zu grüßen. Die Vertreter der NPD dürften dort stehen, geschützt von der Verfassung, die sie selber missachten, bemerkt Borcholt.

Sarstedts Bürgermeister Karl-Heinz Wondratschek (SPD) verweist ebenfalls auf das Recht der zugelassenen Partei, in der Öffentlichkeit Stimmen zu sammeln. Der Sozialdemokrat macht auch keinen Hehl aus seiner Hoffnung, dass diese Partei schnellstmöglich verboten wird. Eine Partei, die die demokratischen Rechte nutzt, um die Demokratie zu bekämpfen, bezeichnet der Bürgermeister als "schamlos", das Gedankengut als "widerlich". Wondratschek erinnert an die Schrecken der NS-Zeit, auch an Vorkommnisse in Sarstedt. Doch im Großen und Ganzen habe er keine Angst, dass es in dieser Stadt noch einmal so weit kommen könnte. Mut bescheinigt der Verwaltungschef einem Ladeninhaber in der Fußgängerzone, der ein Schild mit der Aufschrift "Nazis raus aus Sarstedt" direkt vor seinem Laden aufgestellt hat.

Nicht der einzige Protest, der den Vertretern der NPD an diesem Vormittag entgegenschlägt. Eine gepflegte Frau mittleren Alters etwa kommt dem Rat des Pastors, grüßend am Stand vorbeizugehen, nicht nach. Sie geht direkt hin, spuckt auf den Boden, setzt wortlos ihren Weg fort. Ein anderer Passant in roter Weste mit dem Aufdruck "Die Linke" schwenkt eine Fahne mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz darauf. Im Laufe des Vormittags gesellen sich weitere Parteikollegen dazu, sie sind auf dem Rückweg von einer anderen Kundgebung. Ein älterer Mann entgegnet auf die Äußerung eines anderen, dass schon etwas dazugehöre, in dieser Atmosphäre für Rechts zu sammeln: "Was nützt der Mut, wenn man dumm ist!"

Die vier NPD-Vertreter lassen sich von den umstehenden Bürgern und den zehn Polizeibeamten nicht stören. Markus Walter, NPD-Stadtratsmitglied aus Pirmasenz und Lebensgefährte von NPD-Bundesvorstandsmitglied Ricarda Riefling, schaut amüsiert in die Runde. "So viel Aufmerksamkeit bekommen wir selten. Sarstedt ist echt ein Kuriosum", sagt er.

Ein anderer Wahlhelfer, der seinen Namen nicht nennen will, erklärt, dass es "Spaß mache, sich in Sarstedt vor der Kulisse der Gutmenschen ins Zeug zu legen." Sarstedt wollen sie in "liebevoller Erinnerung" behalten, die Stadt werde nun einer ihrer "Schwerpunkte" werden. Sie wollen wiederkommen, erklären die Männer. "Dafür benötigen sie wieder eine Genehmigung der Stadt", erklärt Rainer Kahr, Sarstedter Kommissariatsleiter. Er und die anderen Beamten können sich bei diesem Einsatz auf das Beobachten beschränken, eingreifen müssen sie nicht.

Baut die NPD erneut einen Stand in der Stadt auf, dürften die Vertreter wohl erneut mit der Ablehnung der Einwohner rechnen. Denn, so formulierte Jürgen Peper, Sarstedter SPD-Ratsherr und Organisator der Kundgebung zu den 300 Teilnehmern: "Man bekommt ein Gefühl für die Kraft einer Gemeinschaft, wenn sie zusammenhält."

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Rechtsextremismus | Stadt Sarstedt

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