Wer hilft künftig, wenn die Seele schwächelt?

"Massiven Personalabbau" hatte im vergangenen Jahr der Leiter des der Sozialpsychiatrische Dienstes, Dr. Eberhard Höfer, im Sozialausschuss kritisiert, sich am Rande der Rechtswidrigkeit zu befinden. Eine Kritik, die sich auch direkt gegen seinen Chef Landrat Reiner Wegner richtete.

27.01.11 –

Hinter verschlossenen Türen rätselt der Kreis über die Zukunft des Sozialpsychiatrischen Dienstes: privat oder kommunal

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 27.01.11) Kreis Hildesheim. Ein Burn-Out kann nicht nur Einzelne treffen, auch die Abteilung in der Kreisverwaltung, die sich per Gesetz um seelisch kranke Menschen kümmern muss, leidet gewissermaßen an einer Art Ausgebranntheit: der Sozialpsychiatrische Dienst. "Massiven Personalabbau" hatte im vergangenen Jahr dessen Leiter Dr. Eberhard Höfer im Sozialausschuss kritisiert, sich am Rande der Rechtswidrigkeit zu befinden. Eine Kritik, die sich auch direkt gegen seinen Chef Landrat Reiner Wegner richtete. Zur Lage in seiner Abteilung: Eine Psychiatrie-Koordinatorin ist vorzeitig gegangen, deren Stelle nicht wieder besetzt wurde, es haperte durch Krankheit im Sekretariat, in diesem Sommer wird auch Höfer dem Sozialpsychiatrischen Dienst den Rücken kehren und in Rente gehen. Auf seine Stelle gibt es bislang nur eine Nachfolgekandidatin, die auch nur halbtags arbeiten würde. Aus der Sicht eines Kenners der internen Verhältnisse: "Schlicht eine Katastrophe."

Nicht so drastisch, aber im Ergebnis gleich, räumte in der Sitzung Dezernatsleiter Ulrich Wöhler die Situation ein: "Die Zitrone ist ausgepresst." Gleichwohl wies er den Vorwurf der Rechtswidrigkeit zurück. Er warf die Frage auf, ob eine Privatisierung der kommunalen Aufgabe eine Lösung bieten würde. Und diese Idee ist nun das Dilemma, mit dem sich die Kreispolitiker auseinandersetzen müssen.

Allerdings nicht mehr in der Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen. Während der Antrag zur Ausschreibung des Sozialpsychiatrischen Dienstes an Externe im Sozialausschuss zunächst an einemPatt, gegen die Stimmen von SPD/Die Grünen gescheitert ist, fand sich in der jüngsten, nicht öffentlichen, Kreisausschuss- Sitzung eine knappe Mehrheit für die Ausschreibung zur Privatisierung.

Für SPD-Fraktions-Chef Harry Dilßner kommt diese Lösung allerdings nur in Frage, wenn dieselben Aufgaben "nachhaltig deutlich günstiger" übernommen werden. Was auch heißt: "Keine Dumpinglöhne." Letzteres sieht Christian Berndt, CDU-Fraktions-Chef, genauso, ist aber beim Thema Finanzen moderater: Ihm reicht es, wenn die gleiche Leistung zum gleichen Geld erbracht wird. "Nur mit einer Ausschreibung kommen endlich die Karten auf den Tisch", sagt er. Potenzielle Anbieter gibt es in der Region bereits. Infrage kämen beispielsweise das Ameos- Klinikum oder die AWO mit ihrem Trialog- Konzept. Wenn die Bewerber ihre Konzepte vorgelegt haben, wird der Kreisausschuss in einer zweiten nicht öffentlichen Sitzung endgültig entscheiden, so Berndt.

Per Gesetz beteiligt ist beim Thema auch der sogenannte Sozialpsychiatrische Verbund, die Interessenvertretung der Anbieter in diesem Bereich, also Kliniken, Wohlfahrtsverbände oder Therapeuten. Verbundssprecher ist Christoph Grewe vom Berufsförderungswerk Goslar. Er kritisiert, dass der Landkreis den Verbund von Anfang an nicht einbezogen hat: "Wir reden hier über ein großes gesellschaftliches Problem. Eine Traumatisierung kann praktisch jeden treffen." Umso irritierter ist Grewe, dass das Thema quasi "in aller Stille behandelt wird".

Er sieht die Gefahr, dass mit einer Privatisierung auch wirtschaftliche Interessen bei der Versorgung seelisch Kranker eine Rolle spielen können. "In den Händen einer unabhängigen Institution wird die Aufgabe neutral wahrgenommen", sagt er.

Und am Beispiel des Hildesheimer Sozialpsychiatrischen Verbundes auch überaus kompetent. Dass die Hildesheimer weit über die lokalen Grenzen sehr geachtet werden, bestätigt auch Barbara Haller vom Uelzener Verein "Die Brücke". Sie ist dort seit 1980 in der Geschäftsführung und hat quasi von Anfang an erlebt, wie ein Sozialpsychiatrischer Dienst über Dritte abgewickelt wird. "Die Brücke wurde 1976 als bundesweites Modell für die Versorgung seelisch Erkrankter im ländlichen Raum ins Leben gerufen. Mit allen Vor- und Nachteilen", sagt sie. Positiv zu Buche schlage vor allem, dass der Verein frei sei von allen bürokratischen Hemmnissen einer Kommunalverwaltung. Gleichzeitig fehle im Alltag aber auch deren Dienstleistung über die Verwaltung. Auch die Rolle der Politik als Kontrollorgan sei geschwunden: "Ich wünschte mir eine stärkere Einmischung."

"Die Brücke" müsse sämtliche gesetzlich fixierte Aufgaben aus eigener Kraft wahrnehmen. Dabei seien die Kosten über den Vertrag mit der Stadt Uelzen gedeckelt. "Es ist unser Problem, wie wir damit zurechtkommen, aber wir kommen zurecht."

Zur Befürchtung, wirtschaftliche Einzelinteressen würden eine größere Rolle bekommen, könne sie nichts sagen. Nur so viel: "In den vergangenen 34 Jahren hat es kein Bestreben seitens der Kommune gegeben, die Aufgabe selbst wieder zu übernehmen. Das spricht doch eine eigene Sprache."

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