Zwischen den Gleisen Richtung Kultur

Der Schalk in seinen Augen verrät es: Stefan Könnecke hat Lust auf mehr. Auch nach 20 Jahren. Der 51-jährige Geschäftsführer der Kulturfabrik war von Anfang an dabei, als das soziokulturelle Zentrum in das Gebäude der Papier verarbeitenden Fabrik Löseke den Keim der (Sozio-)Kultur setzte und sich immer weiter ausbreitete.

16.09.12 –

Kulturfabrik wird 20: Ab 28. September wird dreimal gefeiert / Stefan Könnecke blickt zurück und voraus

(Quelle: Kehrwieder a.S., 16.09.12) Hildesheim. Der Schalk in seinen Augen verrät es: Stefan Könnecke hat Lust auf mehr. Auch nach 20 Jahren. Der 51-jährige Geschäftsführer der Kulturfabrik war von Anfang an dabei, als das soziokulturelle Zentrum in das Gebäude der Papier verarbeitenden Fabrik Löseke den Keim der (Sozio-)Kultur setzte und sich immer weiter ausbreitete.

Alles begann im Jahr 1990, als der Sülte-Verein, in dem freie Kulturgruppen organisiert waren, von der Stadt die endgültige Absage bekam, das Sülte-Gelände nutzen zu dürfen. Gleichzeitig hatten sich im Turm der Fabrik von Arwed Löseke sechs Studenten eingemietet, die dort schon einen Raum als Musikprobenraum nutzen durften. "Sprich doch den alten Löseke an, mit dem kann man reden", sagte einer zum Kulturpädagogik- Studenten Stefan Könnecke. Gesagt, getan. Der Fabrikbesitzer hatte seine Produktion von Papierverpackungen und Staubsaugerbeuteln ohnehin bereits 1985 nach Bavenstedt ausgelagert, das Gebäude im Langen Garten Nummer 1 wurde nur als Lager genutzt. Alte Druckrollen, mit denen die Verpackungen bedruckt wurden, zum Beispiel für die Keksfabrik Bahlsen in Hannover, finden sich noch heute in die Theke des "Hobo" integriert.

Arwed Löseke stellte den Kulturschaffenden zunächst einen Musikprobenraum zur Verfügung. Der Fabrikbesitzer habe zwar selbst nicht so viel mit Kultur zu tun gehabt, aber der Vater seiner Frau sei Jazz- Schlagzeuger in München gewesen. "Wir waren ein ziemlich wilder Haufen, aber Löseke hat gesagt: Den Raum habt Ihr, macht was draus", erinnert sich Könnecke.

Als erste Theaterproduktion in der Kulturfabrik entstand 1991 die legendäre "Mac Beth"-Inszenierung des Theater Mahagoni, die dann auf der Lilie aufgeführt wurde.

Anfang der 1990er Jahre kam die Kulturfabrik zum ersten Mal in den Fördertopf für Soziokultur des Landes Niedersachsen, unter Ministerpräsident Ernst Albrecht. Arwed Löseke musste sich dadurch festlegen - und entschied sich, seine Fabrik für längere Zeit der Kultur zugänglich zu machen. "Er hat gesehen, die engagieren sich wirklich, die bauen selbst das Klo ein und streichen die Wände", so Könnecke. Wobei das stark untertrieben ist. Es waren Mitarbeiter der Kulturfabrik, die den Musikerkeller einen Meter tiefer legten, weil die Decke zu niedrig war, die den giftigen Kalkputz auf den Backsteinen der ehemaligen Druckerei abschliffen und die drei bis vier Container Schotter vom Flachdach schippten, damit es repariert werden konnte, als es undicht war: "Dadurch ist uns das Haus nahe gekommen. Die Leute haben hier einen Teil ihres Lebens reingegeben." Nur folgerichtig, dass sich 1992 der Verein "Sülte e. V." in "Kulturfabrik e. V." umbenannte. Das ist auch der Zeitpunkt, den Könnecke und seine Mitstreiter als die Gründung der Kulturfabrik werten, so dass nun im Jahr 2012 gefeiert werden darf. Doch schon ein Jahr später fand die Stadt viele kleine formale Dinge, die nicht geklärt waren, und erklärte den Betrieb der Kufa kurzerhand für illegal. Stein des Anstoßes war, dass Arwed Löseke den Kulturschaffenden die Räume mietfrei zur Verfügung stellte, aber auch Formalien wie fehlende Parkplätze. "Der damalige Stadtbaurat Thomas Kulenkampff hat uns sehr geholfen, die Voraussetzungen zu schaffen, die Kufa legal betreiben zu können", sagt Könnecke, und in seiner Stimme schwingt dankbare Anerkennung mit. Das erste feste Personal habe die Kulturfabrik bekommen, "weil uns das Arbeitsamt unkompliziert ABM-Stellen (die Abkürzung steht für Arbeits-Beschaffungs- Maßnahme) zur Verfügung gestellt hat".

1998 bekam die Kulturfabrik dann zum ersten Mal einen festen Titel im städtischen Haushalt. Zweimal stand die Kulturfabrik seitdem vor der Insolvenz. Das war im Jahr 2000 und im Jahr 2010. "Im Jahr der Expo und im Michaelisjahr", hat Könnecke analysiert, "da wurden viele Projektmittel dort reingesteckt". Aber: "Wir haben uns an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen." Als im Oktober 2010 die Gehälter nicht mehr gezahlt werden konnten, erhielten die Mitarbeiter den Spielbetrieb für drei Monate ehrenamtlich aufrecht, "sonst hätten wir keine Einnahmen gehabt".

Wie so oft lohnte sich das Engagement. Im nächsten Jahr wurde der städtische Zuschuss von 130.000 Euro auf 160.000 Euro aufgestockt, den Betrag bekommt die Kulturfabrik bis heute. Sie ist die einzige freie Kultureinrichtung in Hildesheim, die einen festen Posten im städtischen Haushalt hat. "Uns wird immer vorgeworfen, wir könnten nicht wirtschaften", sagt Könnecke, um das Argument anschließend zu entkräften: "Städtische Einrichtungen wie das Theater für Niedersachsen (TfN), das Roemer- und Pelizaeus- Museum, die Volkshochschule und die Musikschule schlucken 98 Prozent des Kulturhaushaltes, um die restlichen zwei Prozent schlägt sich die freie Szene." Diese zwei Prozent seien 200.000 Euro, wovon die Kulturfabrik mit 160.000 Euro das meiste davon bekomme. "Wir sind die einzigen, die es geschafft haben, einen Titel im städtischen Haushalt zu kriegen, andere, wie das Theaterpädagogische Zentrum, müssten eigentlich auch einen festen Titel bekommen", so Könnecke. "Es müssten Wege gefunden werden, den Anteil im städtischen Haushalt für die freie Kultur zu verdoppeln, aber die Stadt darf wegen des Zukunftsvertrages nicht mehr ausgeben." Eine Umverteilung der Mittel sei eine andere Möglichkeit, der freien Kulturszene mehr Geld zu geben: "Aber das TfN und das Museum schwimmen auch nicht im Geld", zeigt sich Könnecke verständnisvoll für die Situation der städtischen Kulturkollegen.

Die Kulturfabrik selbst hat einen jährlichen Haushalt von etwa einer Million Euro. Die 160.000 Euro Zuschuss von der Stadt Hildesheim plus Projektgelder aus öffentlichen Töpfen machen davon 18 Prozent aus, die restlichen 82 Prozent muss das soziokulturelle Zentrum selbst erwirtschaften. "Beim TfN ist das ungefähr umgekehrt", macht Könnecke deutlich, "die müssen nur 12 Prozent selbst erwirtschaften und bekommen 88 Prozent ihres Haushaltes durch öffentliche Zuschüsse finanziert."

Als Lösung aus der verfahrenen Situation sieht Könnecke eine stärkere Zusammenarbeit der Kulturinstitutionen, zum Beispiel mit dem TfN: "Wir setzen uns auf IQ-Basis dafür ein, dass Synergien genutzt und Perspektiven gemeinsam erarbeitet werden," formuliert er in seiner Funktion als Mitglied der Interessengemeinschaft Kultur (IQ). Die Kulturfabrik habe in den letzten beiden Jahren 30.000 Euro eingespart, vor allem beim Personal, indem frei werdende Stellen nicht mehr nachbesetzt oder Stunden reduziert werden. "Weniger Personal für mehr Leistung", sei die Devise. "Dadurch haben weniger Leute hier ihr Auskommen", bedauert Könnecke. Doch die Zukunft scheint erstmal gesichert: "Das nächste Jahr werden wir überstehen." Ein bisschen kribbelig ist Könnecke aber doch: Der ausstehende Vertrag mit der Stadt für die nächsten fünf Jahre ist noch nicht im Briefkasten gelandet.

Kategorie

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