GRÜNE kritisieren irreführende Berichterstattung zum Sparpaket

Offener Brief an den Chefredakteur der Hildesheimer Allgemeinen, Dr.  Hartmut Reichardt

Vom Wellenschlagen, der Wahrheit und den Wahlen

Sehr geehrter Herr Dr. Reichardt,

wie Sie wissen, gehöre ich nicht zu den Politikern, die aufgeregt anrufen oder schreiben, wenn eine Nachricht nicht ganz ihrer Meinung oder Wahrnehmung entspricht. Der journalistische Umgang der HAZ mit dem Thema TFN in den letzten Tagen veranlasst mich nun aber doch, mich direkt an Sie in Form eines offenen Briefes zu wenden. Die Form des offenen Briefes wähle ich, weil die HAZ keinerlei Briefe zum Thema TFN veröffentlichen will (was ich verstehe) und ich so meine Position zu den Vorgängen öffentlichen machen will.

In der HAZ vom 4.6. schrieben Sie u.a., dass dem TFN eine  Kürzung von 500.000 Euro ins Haus steht, damit wäre der Bestand des Hauses deutlich in Frage gestellt gewesen. Gleichzeitig stellten Sie in einem Kommentar das politisch-moralische Recht des Rates in Frage, kurz vor den Wahlen derartige Kürzungen zu verabschieden.

Dass diese Stadt mittlerweile 300 Millionen Schulden angehäuft hat, ist Ihnen bekannt. Dass wir zur Zeit jährlich 40 Millionen neue Schulden (strukturelles Defizit) machen, werden Sie auch wissen. Wenn in einer solchen Situation eine Stadt das Angebot bekommt, Teile dieser Schulden (140 Millionen) erlassen zu bekommen, dann müssen Rat und Verwaltung zusammen handeln, weil wir sonst im nächsten Jahr sowieso die Kürzungen vom Ministerium vorgeschrieben bekommen, das war auch bisher immer Position Ihrer Zeitung. Und Sie wissen auch, dass wir als „Aufgabe“ vom Innenministerium haben, rund 3 Millionen im Bereich der sogenannten Freiwilligen Leistungen einzusparen, also bei Bildung, Sozialem, Kultur und Sport, alles Bereiche, für die wir jahrelang gestritten haben. Ohne diese Einsparungen kommt der Vertrag nicht zustande.

Um also auf Dauer wieder Autonomie zu erlangen, müssen wir teilweise unsere Autonomie aufgeben, ein Prozess, der uns allen schwer fällt. Übrigens, das sei hier auch angemerkt in zähem Ringen und harter, aber fairer Diskussionen – in einer Zeit, in der viele Menschen in dieser Stadt glauben, Rat und Verwaltung würden nur noch Zeit damit verbringen, interne Konflikte auszutragen.

Dass dieser Prozess hinter verschlossenen Türen stattfindet, hat den Hintergrund, dass wir möglichst viele Modelle durchrechnen wollen, um auch manche hinterher verwerfen zu können. Die Kürzung von 500.000 Euro beim TFN ist ein solches Rechenbeispiel, welches schon bei der Erarbeitung der Vorlage als untauglich verworfen wurde und nie ernsthaft innerhalb der Lenkungsgruppe diskutiert wurde. Durch eine Indiskretion ist diese Vorlage an die HAZ gelangt, das ist Journalismus. Aber wenn dann ohne Gegenrecherche und Nachfragen diese Meldung mit dem Kommentar platziert wird, ob dieser Rat das politisch-moralische Recht habe, noch kurz vor dem Ende seiner Zeit so massiv in das kulturelle Leben seiner Stadt einzugreifen, stelle sich für mich die Frage nach den ethischen Grundsätzen eines seriösen Journalismus.

Journalismus darf und muss Dinge an die Öffentlichkeit bringen, auch wenn es den Betroffenen nicht passt. Von George Kennan, früherem US-Botschafter in Moskau, stammt der Satz: „ Man muss den Menschen die Wahrheit sagen und ihnen dann helfen, über den Schock hinweg zu kommen.“ Die Politik in dieser Stadt bemüht sich heute weitgehend gemeinsam, den Menschen die Wahrheit über die Finanzen dieser Stadt zu sagen und wird den Schock ertragen müssen. Aber dazu noch Gerüchte in die Welt zu setzen,  finanzielle Sandkastenspiele als Wahrheit zu verkünden und darüber hinaus in dieser politisch schwierigen Zeit die Legitimation des Rates in Frage zu stellen, dient nicht der Sache. In diesem Punkt, das muss ich so deutlich sagen, erwarte ich in Zukunft größere journalistische Sorgfalt, die nicht der aktuellen Schlagzeile geopfert wird.

Die von Ihnen stark polarisierende Diskussion war deshalb unnötig und nicht konstruktiv. Dennoch hat sie ein Gutes: sie hat gezeigt, wie stark das Theater in dieser Stadt verwurzelt ist und das es unabdingbarer Bestandteil der Kultur in diese Stadt bleiben muss.

Und die Diskussion hat mir gezeigt, dass der Rat mehr Zeit braucht, um mit den Ratsmitgliedern und den Menschen in dieser Stadt die anstehenden Veränderungen und Kürzungen diskutieren zu können. Dabei kann es nicht darum gehen, die Gesamtsumme zu kürzen oder einzelne Bereiche zu Gunsten anderer Bereiche zu entlasten, aber ich denke, dass manche Vorlage zu kurz greift und dass man den Betroffenen Gelegenheit geben sollte, Einsparalternativen zu entwickeln, um gemeinsam das Ziel einer weitgehenden Entschuldung zu erreichen. Dass wir damit dichter an die Kommunalwahlen kommen und damit die Nerven blanker liegen, ist mir bewusst. Aber der gemeinsame Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt, wie diese Stadt in Zukunft aussehen soll, ist unabdingbar und hieraus, nicht aus dem Zeitpunkt, entwickelt sich Legitimität für politisches Handeln.

Auf diesem Wege wünsche ich mir auch weiterhin die Unterstützung der Hildesheim Allgemeinen Zeitung

Mit freundlichen Grüßen

Ulrich Räbiger
(Fraktionsvorsitzender der Grünen)

Antwort durch Herrn Reichardt

(Hildesheimer Allg. Zeitung, 11.06.11)


Sehr geehrter Herr Räbiger,

sehr gern antworte ich Ihnen auf Ihren offenen Brief. Sie schreiben klar und verbindlich, Sie sind offen und bekennen sich zu Ihrer Verantwortung. Das finde ich gut. Zugleich fordern Sie meine Verantwortung ein und kritisieren, dass ich diese bei der Veröffentlichung der möglichen Einsparsumme beim Stadttheater in Höhe von 500000 Euro habe vermissen lassen. Zu der gleichzeitigen Veröffentlichung der anderen Zahlen schreiben Sie nichts.

Wenn es bei Gericht heißt, im Zweifel für den Angeklagten, heißt es bei der Presse, im Zweifel für die Öffentlichkeit.

Wie lief das ab am Freitag vor einer Woche?Umdie Mittagszeit erhielt ich einen Anruf. Ich kenne den Anrufer gut, Sie auch. Der Anrufer war und ist für mich als Quelle über jeden Zweifel erhaben. Mirwurden sieben Institutionen genannt, die von Kürzungen bedroht seien, dazu die jeweils geplanten Summen.

Was also hätte ich tun sollen? Die Zahlen unterdrücken? Nein, dafür war die Quelle zu gut. Gegenrecherchieren, wie Sie es fordern? Was hätten Sie mir denn gesagt, wenn ich Sie angerufen hätte? In Ihrem Brief schreiben sie doch, dass sich der Rat entschlossen hatte, den "Prozess hinter verschlossenen Türenstattfinden" zu lassen.

Dennoch räume ich gern ein, dass es mich schmerzt, viele durch die Veröffentlichung der TfN-Zahl stark verunsichert zu haben. Und das noch mehr, wenn es stimmt, dass diese 500000Euro nie wirklich auf einer Liste standen. Das aber wusste ich nicht. Wenn Sie mir das hier als Fehler vorhalten, muss ich mir das zuschreiben lassen. Trotzdem finde ich Ihren Satz versöhnlich, dass die "polarisierende Diskussion" gezeigt habe, wie "stark das Theater in dieser Stadt verwurzelt" sei. So sehe ich das auch.

Noch ein Satz zur Frage des politischmoralischen Rechts, ob ein Rat kurz vor der nächsten Wahl noch so massiv in die kulturell gewachsenen Strukturen der Stadt eingreifen darf. Natürlich hat der Rat das Recht dazu, sogar die Pflicht, keinZweifel.Aber ich als Journalist habe mir das Recht zu dieser kritischen Frage genommen. Über viele Jahre hat der Rat nicht genug Mumm gezeigt, hart an die Ausgaben heranzugehen, an die hausgemachten Teile der Misere. Erst jetzt, wo die Bude brennt, weil die Zwangsverwaltung aus Hannover droht, wird endlich angepackt.

Legitimität für politisches Handeln herzustellen ist Ihr Geschäft. Darüber Öffentlichkeit herzustellen für und mit den Bürgerinnen und Bürgern Hildesheims unseres. Wenn Sie das als Unterstützung der Zeitung verstehen und sich wünschen, dann haben Sie diese Untersützung.

Ihr Hartmut Reichardt
Chefredakteur Hildesheimer Allgemeine Zeitung

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